Zum Teufel mit den Regeln. Wenn es richtig klingt, dann ist es das auch !
(Eddie Van Halen)
Was Hänschen nicht lernt ...
... lernt Hans nimmermehr. Dass dieses Sprichwort längst überholt ist, gilt als erwiesen. Erwachsene lernen zwar langsamer als Kinder und Jugendliche, wirklich starke Einschränkungen gibt es aber erst im hohen Alter. Das Gehirn ist wie ein Muskel, den man das ganze Leben lang trainieren kann. Die Aktivitätsmuster im Gehirn verändern sich schon nach kürzester Zeit und bestimmte Regionen vernetzen sich bereits nach der ersten Übungseinheit.
Wer als Erwachsener ein Instrument lernt, weil er sich einen lang gehegten Traum erfüllen möchte, sollte sich für das Klavier entscheiden. Im Gegensatz zu Kinder, die eher spielerisch lernen und eher mit Spontanität und Kreativität an die Sache herangehen, haben Erwachsene eine rationalere Herangehensweise. Sie bringen große Lebenserfahrung und biographisch gewachsene Wünsche mit, die zu berücksichtigen sind. Andererseit haben sie höhere intellektuelle Fähigkeiten, ein größeres Talent zu
Organisation und Planung, Zielstrebigkeit und sprachliches Ausdrucksvermögen. Sie wollen verstehen, was sie da tun.
Das Einzige, was ein erwachsener Anfänger mitbringen muss, ist Geduld ! Denn Erwachsene stehen in der Regel mit beiden Beinen fest im Leben und sind nicht mehr daran gewöhnt, Anfänger zu sein. Das führt bisweilen dazu, dass sie ungeduldig mit sich selbst sind, schnelle Fortschritte machen wollen und sich selbst unter Leistungsdruck setzen. Sie wollen keine Fehler machen und unterschätzen, dass es regelmäßiger Übung bedarf, um gut Klavier spielen zu können. Das führt zu Verkrampfungen und ist für die Freude am Musizieren kontraproduktiv.
Wenn es aber ein erwachsener Anfänger schafft, sich an den schönen Klängen zu erfreuen, die er mit seinen Händen schafft, auch wenn sie noch nicht immer harmonisch und wie bei den großen Pianisten klingen, wenn er sich Neugier und Offenheit bewahrt, wenn er freundlich, geduldig und humorvoll mit sich umgeht, im Hier und Jetzt lebt, wenn er genießt, fühlt und lauscht, wenn er regelmäßig Klavier spielt, so steht ihm die musikalische Welt offen.
Franz Titscher erfasst es sehr gut in seinem Video:
Ziele des Musizierens
Als erwachsener Neueinsteiger muss man sich bewusst machen, dass man nicht unbedingt schlechter als ein Kind lernt, sondern anders. Das spielerische Ausprobieren haben Erwachsene verlernt, sie wollen erst verstehen, was sie tun. Sie lernen außerdem nicht mehr linear, sondern bauen auf andere Erfahrungen auf.
Wichtig ist, sich zu fragen, welche Ziele man mit dem Erlernen eines Instruments verfolgt. Erwachsene sind oft ungeduldiger, erwarten häufig zu früh schnelle Ergebnisse. Man darf aber nicht unterschätzen, dass auch Kinder und Jugendliche viel Zeit mit ihrem Instrument verbringen müssen, bis sie wirklich gut werden. Wenn man sich realistische Ziele setzt, wird die Motivation nicht gleich flöten gehen. Klavier lernen bedeutet Spaß haben und den Trott des Alltags hinter sich lassen.
Von einer großen Solistenkarriere träumen viele Späteinsteiger in der Regel nicht. Das sollte auch nicht der Hauptantrieb sein, weil man sonst schnell an Motivation verliert. Das Vergnügen am Gestalten und die Freude an der Musik sollte im Vordergrund stehen.
Der Vorteil: Ein Instrument noch nach dem Schulabschluss zu lernen, obliegt der eigenen Entscheidung: Es gibt keine Eltern oder Lehrer, die einen dazu zwingen und keinen Leistungs- und Erwartungsdruck von außen.
Der Weg ist das Ziel
Neuropsychologen der Universität Zürich haben versucht, das Gehirn alter Menschen in Schwung zu halten, indem sie unter anderem 70-Jährigen das Klavierspielen beibrachten. Die Forscher stellten bereits nach einer Woche Üben Veränderungen im Gehirn fest. Der Verstand älterer Menschen reagiert damit genauso wie bei Jüngeren.
Üben ist wie Wandern: Der Weg bzw. der Lernprozess ist das Spannende an der Sache. Dadurch wird das Erlebte erst wertvoll. Mit dem Erlernen von Pop-Nummern, klassischen oder jazzigen Liedern füttern wir unser Gehirn mit neuen, unbekannten Informationen. Am besten ist es, wenn man sich auf ein paar Stücke konzentriert und lernt, diese gut zu spielen.
Üben ist das Zauberwort – egal, ob jung oder alt. Und erste, kleine Etappensiege werden sich sicher schnell einstellen.
Quelle: music2me.de
Geduld und Selbstkritik
Um den eigenen Ansprüchen als Anfänger zu genügen, sollte man sich Stücke aussuchen, die nicht zu schwer sind und von denen man weiß, dass sie machbar sind. Gerade Erwachsene sind viel zu ambitioniert und reagieren empfindlich auf Frustration.
Wirf deine Hemmungen über Bord und versuche nicht, alles kontrollieren zu wollen. Das vermeintliche Wagnis ist in Wirklichkeit keins. Übertriebene Selbstkritik wird dir schnell den Spaß am Spielen nehmen! Dass die ersten musikalischen Gehversuche nicht sofort wie auf der heimischen Anlage klingen, muss man sich von Anfang an klar machen. Nimm dir Zeit und sei nachsichtig mit dir selbst. Eine neue Herausforderung bedeutet Anstrengung, ist aber auch aufregend.
„Wer im Alter aktiv musiziert, kann nur profitieren: Eine erhöhte Lebensqualität, soziale Kontakte, persönliche Herausforderungen, Sinnerfahrung und Hilfe zur Lebensbewältigung beschreiben die Kernpunkte, die dadurch eine Aufwertung erfahren“, so der Bayerische Musikrat während einer Arbeitstagung zum Thema „Musik kennt keine (Alters-)Grenzen“.
Auch wenn man schon gewisse Hörvorstellungen entwickelt hat, lernen Menschen bis ins hohe Alter auf dynamische Weise. Üben hält geistig jung, das belegt die Hirnforschung. Während des aktiven Musizierens werden motorische, akustische und Gedächtnisleistungen gefordert. Verschiedene Hirnareale werden beansprucht. Weitere erfreuliche Auswirkungen: Klavier oder ein anderes Instrument zu lernen, bietet seelischen Ausgleich, steigert die Lebensqualität und dient der Selbstverwirklichung. Musik löst Emotionen aus und hat deswegen eine starken Einfluss auf uns. Musik aktiv zu gestalten, treibt die Motivation sich zu verbessern weiter voran.
Außerdem schult Musik machen das Konzentrations- und Reaktionsvermögen und steigert die Kreativität. Bei anderen Freizeitaktivitäten wie Karten spielen und Kreuzworträtsel lösen greift das Gehirn auf bereits automatisierte Strukturen und vorhandene Nervenverbindungen zurück. Es entwickeln sich keine neuen Prozesse.
Unser neues Körpergefühl
Früh übt sich, wer ein Meister werden will, heißt es. Doch was, wenn wir mit 30, 50 oder 70 Klavier spielen oder eislaufen lernen wollen? Was können wir noch erreichen?
Das Fernsehen zeigt ein Champions-League-Spiel, doch İlhan Mansiz geht zum Yoga. Für einen Mann mit seiner Vergangenheit ist das ungewöhnlich: Mansiz hat den größten Teil seines Lebens mit Fußball verbracht. Er spielte als Profi für den 1. FC Köln, Beşiktaş İstanbul, Hertha BSC und für 1860 München, und bei der Weltmeisterschaft 2002 schoss er die türkische Nationalmannschaft mit dem entscheidenden Tor ins Halbfinale – am Ende wurde seine Mannschaft Dritter.
Nun aber hat Mansiz damit abgeschlossen. Zwar trainiert er noch immer dreimal täglich an sechs Tagen die Woche, aber es geht nicht mehr um Kopfbälle und Sprintkraft, sondern um Pirouetten und Schrittfolgen, um Präzision und Eleganz. Mansiz will 2014 zu Olympia. Als Eiskunstläufer.
Dabei stand Mansiz vor drei Jahren zum ersten Mal auf Schlittschuhen: Damals nahm er an der türkischen Variante der Fernsehsendung Stars on Ice teil – einer Show, in der Prominente gemeinsam mit Profi-Eisläufern eine Kür im Paarlauf erarbeiten. Mansiz lernte die ungewohn-ten Bewegungsabläufe schnell, hatte Spaß, gewann die Show – und verliebte sich in seine Partnerin, die Slowakin Oli Beständig, die bei den Olympischen Spielen in Salt Lake City Siebzehnte im Paarlaufen geworden war. Warum sie aufgehört habe mit dem Wettkampfsport, fragte er Oli irgendwann. Und sie antwortete, sie würde es gern noch einmal versuchen, finde aber keinen geeigneten Partner.
»Erst wollte ich mich auf die Suche nach einem Partner für sie machen und das Team unterstützen. Aber dann dachte ich: Ich habe offenbar selbst Talent, ich lerne schnell. Warum nehmen wir nicht die Heraus-forderung an und versuchen es gemeinsam?«, erzählt Mansiz. Seit diesem Sommer steht das Paar in Oberstdorf drei Stunden täglich auf dem Eis, zudem gehören Ballett, Yoga und Krafttraining zum Programm. »Ich fange bei null an«, sagt Mansiz. »Aber mich reizt ja gerade, dass ich mit 35 noch einmal eine ganz neue Sportart lernen kann.«
Noch vor wenigen Jahren hätten ihm Wissenschaftler keine Chance gegeben. »Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr – diese Überzeugung war in der Bewegungswissenschaft verbreitet«, sagt Claudia Voelcker-Rehage, Sportwissenschaftlerin am Zentrum für Lebenslanges Lernen an der Jacobs University Bremen . Komplizierte Bewegungen wie Sprünge beim Eiskunstlauf müsse man vor der Pubertät einüben, hieß es. »Das ist inzwischen vom Tisch«, sagt Voelcker-Rehage. »Heute ist klar: Im Prinzip ist es das ganze Leben lang möglich, neue Bewegungen zu erlernen.« Mit 30 Tennisstunden zu nehmen oder mit 40 Gitarrenstunden, halten Forscher für ebenso erfolgversprechend, wie mit 60 den Führerschein zu machen.
»Warum auch nicht«, fragt Ralf Krampe erstaunt, der in Belgien am Zentrum für Entwicklungspsychologie der Universität Leuven über Motorik forscht: Entwicklungspsychologen gingen heute davon aus, dass das junge Erwachsenenalter bis etwa 45 Jahre dauere, das mittlere bis 65. »Erst danach sprechen wir überhaupt von ›Alter‹«, sagt er.
Aber selbst dann ist die Zeit des Lernens noch lange nicht vorbei, wie eine Studie von Claudia Voelcker-Rehage zeigt. Sie ließ 1206 Testper-sonen zwischen 6 und 89 Jahren jonglieren üben und fand heraus: Am geschicktesten stellten sich die 15- bis 29-Jährigen an, für Ältere war es zwar etwas schwieriger, aber zwischen 30- und 75-Jährigen waren die Unterschiede gering – fast alle konnten nach sechs Übungseinheiten die Bälle oder Tücher in der Luft halten. Erst mit über 80 gelang das seltener. »Die Studie zeigt, dass Erwachsene neue Bewegungen zwar etwas langsamer lernen als Jugendliche, dass es aber erst im wirklich hohen Alter Einschränkungen gibt«, sagt Voelcker-Rehage.
Im Gehirn der späten Anfänger passiert beim Lernen das Gleiche wie bei Frühstartern: Schon nachdem man nur etwa 20 Minuten lang Melodien auf dem Klavier nachgespielt hat, verändern sich die Aktivitätsmuster im Gehirn. Das hat eine Untersuchung am Institut für Musikphysiologie und Musikermedizin an der Hochschule für Musik, Theater und Medien in Hannover an erwachsenen Laien gerade ergeben. »Die Hör- und die Handregionen im Gehirn vernetzen sich bereits nach der ersten Übungseinheit stärker.
Wenn man weiterübt, sind diese Verbindungen nach drei bis fünf Wochen stabil«, sagt der Leiter des Instituts, Eckart Altenmüller. Solche Neuverschaltungen zwischen verschiedenen Netzwerken im Hirn entstehen, wenn man lernt. Je häufiger Nervenverbindungen genutzt werden, umso fester wird die Verbindung, und umso besser sitzt das Gelernte. »Man kann das Gehirn trainieren wie einen Muskel – das ganze Leben lang«, sagt Ralf Krampe.
Auch im Alter bildet und festigt das Gehirn neuronale Verbindungen
»Plastizität« nennen die Forscher diese Anpassungsfähigkeit. Allerdings – auch das zeigen Untersuchungen – lässt die Plastizität beim Lernen von Bewegungen im höheren Alter allmählich nach. Das Gehirn braucht länger, um sich neu zu vernetzen. Und bei Erwachsenen haben sich bestimmte Bewegungsmuster über Jahrzehnte eingeschliffen: Sie haben Muskeln auf die immer gleiche Art belastet – von einem Tag auf den anderen dann plötzlich die Finger oder Beine ganz anders als gewohnt einzusetzen ist nicht einfach. »Man kann beispielsweise bei Ballsportlern beobachten, dass sie große Probleme haben, untypische Bewegungen mit dem Fuß zu machen, etwa den Fuß zu sich zu ziehen. Die müssen erst einmal lernen, die Muskeln dafür anzusteuern«, erzählt Claudia Voelcker-Rehage.
Sabine Brandhofer kämpft seit sechs Jahren mit den Muskeln ihrer linken Hand. Damals erfüllte sich die heute 50-Jährige einen Kindheitstraum und nahm Klavierunterricht. Zuerst übte sie auf einem Stück Pappe, auf das sie Tasten gemalt hatte. Erst als sie sicher war, dass sie dabeibleiben würde, kaufte sie ein Klavier. Inzwischen spielt sie Präludien von Bach und vereinfachte Nocturnes von Chopin. Leider spielen die Finger nicht immer so zusammen, wie sie sollen. »Ich bin absolute Rechtshänderin, meine linke Hand gehorcht mir nicht immer«, sagt Brandhofer. Kürzlich hat sie jedoch überrascht festgestellt, dass sie mittlerweile die schwache Hand auch abseits vom Klavier häufiger benutzt: Es gelang ihr, mit links einen kleinen Knopf zuzuknöpfen. »Offenbar verändert sich mit der Zeit doch etwas.«
Sabine Brandhofer, 50, Industriekauffrau, nimmt seit sechs Jahren Klavierunterricht und übt etwa zwei Stunden pro Woche. »In der Grundschule habe ich Geige gespielt, aber eine Freundin spielte Klavier, da habe ich immer viel lieber zugehört. Vor sechs Jahren hatten wir dann nach einem Umzug zum ersten Mal Platz für ein Klavier, und da dachte ich: Jetzt probierst du es, denn Klavier spielen, wollte ich in meinem Leben unbedingt lernen. Es ist schwerer, als ich dachte, ich muss mir die Stücke Takt für Takt erarbeiten und merke sofort, wenn ich mal nicht genug geübt habe. Denn dann vergesse ich vieles wieder. Aber das Klavierspielen ist einfach etwas für die Seele. Ich würde das nie wieder aufgeben.«
Die schleppende Neuvernetzung des Gehirns ist nicht die einzige Hürde, die Spätlerner überwinden müssen. Ab etwa 40 Jahren schwächeln nach und nach auch die Koordinations- und die Konzentrationsfähigkeit – bei den einen mehr, bei den anderen weniger. Die Bewegungen werden schleichend langsamer, und Rhythmusgefühl zu entwickeln wird schwieriger, wenn man noch nie welches hatte.
Beim Sport stehen nachlassende Muskelkraft, schwindende Beweglich-keit und ein labiler werdendes Herz-Kreislauf-System den Ambitionen im Weg, die Gelenkigkeit lässt nach, vor allem dann, wenn man sich lange kaum bewegt hat.
Allerdings kommt wohl auch kaum eine 50-Jährige auf die Idee, von der Couch-Potato über Nacht zur Kunstturnerin zu werden. Und zum Glück können Erwachsene wie in anderen Lernbereichen ihre motorischen Schwächen zum Teil mit ihrer Lebenserfahrung überspielen, indem sie beispielsweise einen unkomplizierten Sport wählen. »Vieles lösen Erwachsene auf ihre persönliche Art«, sagt Reinhild Spiekermann, Professorin für Instrumentaldidaktik an der Musikhochschule Detmold. Schließlich kennt man sich und seine Fähigkeiten schon eine ganze Weile.
Erwachsene Anfänger beginnen eher mit Tango als mit Ballett. Sie wissen aus Erfahrung, dass es nun einmal dauert, neue Fertigkeiten zu erlernen, und nehmen deshalb beispielsweise mehr Fahrstunden in Kauf, und sie kompensieren das, was nicht mehr geht, mit dem, was noch gut klappt – spielen ihr Instrument zum Beispiel vor schnellen Melodieläufen etwas langsamer, damit der Lauf dann flotter klingt.
Solche Anpassungsprozesse beobachten Forscher auch in Studien mit bildgebenden Verfahren: Mit steigendem Alter mischen immer mehr Gehirnareale im Bewegungslernen mit, die für die Kognition, also das bewusste Denken und Handeln, zuständig sind. Offenbar gleicht man die motorischen Schwächen durch bewusstere Kontrolle seines Tuns aus – die Hürden, die dem Lernen im Weg stehen, werden durch gekonnte Technik einfach umlaufen.
Erwachsene lernen anders als Kinder
Erwachsene lernen also nicht unbedingt schlechter als Kinder – aber anders. »Bei Älteren funktioniert das implizite Lernen nicht mehr so gut«, sagt Eckart Altenmüller: Statt einfach auszuprobieren und wie nebenbei zu lernen, seien Erwachsene beim Bewegungslernen verkopfter, wollten erst verstehen, was sie da tun. »Manchmal beneide ich die Kinder von Freunden, wenn die völlig unbefangen vor sich hin klimpern«, sagt die Klavierschülerin Sabine Brandhofer, die auch nach sechs Jahren oft noch mit den Noten kämpft. Das sei nicht ungewöhnlich, meint Reinhild Spiekermann, die erwachsene Musikschüler und deren Lehrer über den Lernprozess befragt hat. »Erwachsene lernen nicht so linear wie Kinder, bei denen in der Regel ein Schritt nach dem anderen kommt. Erwachsene bauen ja immer auf anderen Erfahrungen auf, bei Bewegungen ebenso wie beim Lernen selbst. Deshalb ist der Lernprozess viel flexibler: Manchmal kommt nach Schritt A gleich Schritt C, manchmal stagniert der Prozess aber auch.«
Selbst einschlägige Erfahrungen sind keine Garantie dafür, dass das Lernen später einfacher ist. Auch Sabine Brandhofer konnte schon einmal Noten lesen – als sie im Grundschulalter Geige spielte. »Das war völlig weg, als ich mit dem Klavier angefangen habe«, bedauert sie. İlhan Mansiz weiß zwar, wie diszipliniert man für Höchstleistungen trainieren muss, hat Bewegungs- und Koordinationsgefühl – doch sonst kann er aus seinem früheren Sport nicht viel für das Eiskunstlaufen gebrauchen.
Eine Sportart erlernen? Ein Instrument erlernen?
Ab 30 empfiehlt es sich, keine Disziplinen mehr auszusuchen, in denen es auf Beweglichkeit und Schnellkraft ankommt – die Verletzungsgefahr ist hoch, ebenso wie bei aggressiven Mannschaftsspielen wie Handball. Besonders leicht zu lernen sind Sportarten, in denen man sich nur auf sich selbst und nicht auch noch auf einen Gegner konzentrieren muss, wie etwa Golf. Aber auch Tanzen, Tennis, Reiten, Schwimmen oder selbst Skifahren sind für Erwachsene gut zu meistern. Einige Schulen, etwa für Kampf- oder Schwimmsport, haben sich auf erwachsene Anfänger spezialisiert. Wer vorher keinen Sport getrieben hat, sollte sich unbedingt vom Arzt durchchecken lassen.
Aber selbst wenn er stattdessen auf Handball umschulen würde: Ob Menschen, die Geige spielen, es auch am Klavier leichter haben, ist bisher kaum untersucht, ebenso wenig, ob Handballer sich mit Basketball leichtertun. Auch über Wiedereinsteiger weiß man bisher kaum etwas. »Vermutlich hängt das unter anderem damit zusammen, wann und wie man etwas gelernt hat und wie viel Praxis man hatte. Je automatisierter etwas war, desto leichter erinnert man sich«, sagt Altenmüller. Das Fahrrad- oder Skifahren kommt auch deshalb bei vielen Menschen relativ schnell zurück, weil es nicht so komplex ist wie Autofahren oder ein Instrument zu spielen.
In den meisten Fällen aber braucht es eben seine Zeit, neue Bewegungsabläufe zu verinnerlichen – erst recht als Erwachsener. »Es fällt mir oft schwer, mit meiner Ungeduld umzugehen, Eiskunstlauf ist sehr vielfältig, man braucht Athletik, Technik und Beweglichkeit und muss alles einzeln und nacheinander trainieren – mir geht das oft nicht schnell genug«, sagt İlhan Mansiz.
Sabine Brandhofer hat die Erfahrung gemacht, dass sie zwar zunächst gut vorankam, dann aber auf der Stelle trat. »Das Lernen geschieht in Stufen – man macht Fortschritte, dann stockt es, und man denkt sich: Was ist denn jetzt los? Aber irgendwann geht es doch wieder weiter«, sagt sie.
Die Wissenschaft bestätigt ihre Beobachtung: Gewöhnlich steigt die Lernkurve erst steil an und wird dann immer flacher – am Anfang macht man große Sprünge, dann aber kommt Qualität vor allem durch Qual. »Wir haben das für Golf untersucht: Nach zehn Übungsstunden und etwa 300 Golfschlägen haben Anfänger ein ordentliches Niveau erreicht. Wer dann noch besser werden will, muss sehr viel trainieren«, sagt Markus Raab, Geschäftsführer des Instituts für Leistungspsychologie an der Deutschen Sporthochschule Köln, der über motorisches Lernen forscht.
Neue Bewegungen zu lernen ist das eine, wirklich gut zu werden das andere: Das geht nur mit viel Training. Und Spitzenleistungen in Musik oder Sport, da sind sich die Wissenschaftler einig, sind für späte Anfänger eigentlich außer Reichweite. Nicht weil Kopf und Beine nicht mehr mitspielen würden, sondern weil die Spätstarter den Vorsprung derer, die schon im Kindesalter angefangen haben, nie mehr aufholen können.
Entscheidend ist die Übungsdauer
Denn auch Kindern und Jugendlichen fliegt ihr Können nicht einfach zu. »Man unterschätzt, wie viel Zeit junge Menschen aufbringen müssen, bis sie wirklich gut werden«, sagt Ralf Krampe. Mit Kollegen hat er Geigenstudenten an Musikhochschulen befragt und festgestellt: Die besten Studierenden, die eine Solistenkarriere anstrebten, hatten bis zum Alter von 18 Jahren im Schnitt rund 7400 Stunden lang Geige geübt. Künftige Musiklehrer dagegen, die zwar Violine als Hauptinstrument spielen, aber nicht so virtuos und brillant sind wie die Solisten, brachten es gerade einmal auf durchschnittlich etwa 3400 Übungsstunden – obwohl beide Gruppen mit etwa acht Jahren das Geigespielen begonnen hatten.
Egal ob Musik oder Sport – für Spitzenleistungen, den sogenannten Experten-Status, braucht es mindestens zehn Jahre intensives Training, und auch dann muss man weiter dranbleiben: Auf mehr als 24 Stunden Übezeit brachten es die besten Violinstudenten in Krampes Untersu-chung pro Woche. Wie wichtig daneben das Talent ist, ist umstritten. »Ich denke schon, dass das angeborene Potenzial eine Rolle spielt: Einige lernen schneller, andere haben die besseren körperlichen Voraussetzungen. Aber es deutet viel darauf hin, dass vor allem langfristiges, zielgerichtetes und hartnäckiges Üben zentral ist«, sagt Heiner Gembris, Professor für empirische und psychologische Musik-pädagogik und Leiter des Instituts für Begabungsforschung in der Musik an der Universität Paderborn.
Quelle: ZEIT Wissen 1/2011
Mit 60 noch Klavierspielen lernen?
Erwachsene können auch im fortgeschrittenen Alter ihren Traum vom Musizieren verwirklichen.
Der größte Vorteil: Es hält geistig jung
Keine blasse Ahnung von Noten? Noch nie ein Instrument gespielt, aber diesen Traum trotz des Alters von 50 oder 60 Jahren noch nicht aufgegeben? Geht das überhaupt noch, im reifen Alter ein Instrument zu lernen? Aber ja, lautet die übereinstimmende und ermutigende Antwort von Musikpädagogen und Forschern. Die Bedingungen sind nur ein Instrument und die Möglichkeit zum Üben.
Serena Kahnert unterrichtet Schüler zwischen sechs und 90 Jahren im Klavierspiel. "Es geht bei mir immer gleich mit einem richtigen Stück los, wie mit einem Menuett", sagt die Hamburger Diplom-Musikpädadogin. Zunächst beginnt sie jedoch mit Fingerübungen, testet die Handhaltung und erkundet die Fingerkraft ihres erwachsenen Schülers. "Diese nimmt übrigens im Alter nicht ab", sagt Kahnert. Außerdem erfragt sie den Musikgeschmack und die Ziele ihrer Schüler. So wollte ein 65-jähriger Klavierneuling unbedingt "Für Elise" von Beethoven lernen. Heute ist er 76 Jahre alt, spielt mit Freude Klavier und machte auch nach einem Schlaganfall mit der Unterstützung seiner Klavierlehrerin weiter. "Als er aufhören wollte, habe ich zu ihm gesagt, gerade jetzt müssen Sie weiterspielen", sagt Kahnert, die Erwachsenen mindestens 30 Minuten tägliches Üben empfiehlt. "Für Elise" spielte der Mann übrigens bereits nach sechs Monaten.
Bundesweit beträgt der Anteil der erwachsenen Schüler an Musikschulen etwa zehn Prozent. Laut Verband Deutscher Musikschulen (VdM) wenden sich insbesondere ältere Erwachsene, mit leichten Zuwächsen bei den Senioren, dem aktiven Musizieren unter kompetenter Anleitung zu. Darunter sind durch ihre Kinder motivierte Familienangehörige, ältere Neuanfänger, Wiedereinsteiger und Senioren. Insgesamt musizieren bundesweit 11 160 Schüler über 60 Jahren (1,17 Prozent der Gesamtschülerzahl). Vor zehn Jahren lag die Zahl der über 60-Jährigen Schüler noch bei 5298 (0,61 Prozent).
Für den erwachsenen Einsteiger ohne Vorkenntnisse empfehlen sich als Instrumente vor allem Klavier, Trommel, Gitarre oder Blockflöte, sagt der frühere Direktor der Staatlichen Jugendmusikschule Hamburg, Professor Wolfhagen Sobirey, der sich mit der Musik im dritten Lebensabschnitt befasst. "Beim Tasteninstrument sind die Töne bereits da und müssen nur noch gedrückt werden. Aber das Saxofon eignet sich ebenfalls für Anfänger, und auch auf der Blockflöte kann man schwierige Stücke spielen."
Die Motive älterer Menschen bestünden vor allem darin, gemeinsam mit Gleichgesinnten zu spielen oder sich eine Sehnsucht zu erfüllen statt Virtuosität im Spiel zu erlangen. "Gute Lehrer gehen darauf ein", sagt Sobirey. Häufig gehe es dem Anfänger um das Erlernen einer bestimmten Melodie, die dann die Lehrkraft zur Verstärkung auch begleiten kann. Sehr wichtig sei, sagt Sobirey, die zeitnahe Korrektur durch den anwesenden Lehrer, denn nur so könne vermieden werden, dass sich erwachsene Einsteiger Fehler angewöhnten - in der Handhaltung, Körperhaltung oder auch beim Atmen.
Beim Klavierspielen sind vor allem Motivation und die eigene Disziplin wichtig. Doch auch ein Anfänger könne bereits anspruchsvolle Klavierstücke spielen, sagt Volker Kunz von Orgma, Fernschule für Tasteninstrumente. Gerade der Anfänger ohne Vorkenntnisse überschätze jedoch häufig die Probleme. "Die größte Hemmschwelle ist der erste Schritt, ein vermeintliches Wagnis, das in Wirklichkeit keines ist", so Kunz. Es gebe kaum einen Grund, das Klavierspielen nicht zu erlernen, selbst in hohem Alter nicht. "Untersuchungen haben ergeben, dass Klavierlernen geistig fit hält. Beim Lernen komme es nicht auf große Schritte, sondern auf viele kleine und das eigene Lerntempo an.
Kunz, der früher eine private Musikschule geleitet hat und seit 40 Jahren Klavierschüler unterrichtet, hat gute Erfahrungen mit älteren Einsteigern gemacht. Von den 260 Schülern ist der größte Teil zwischen 40 und 60 Jahre alt. "Ich betreue auch Schüler in den USA, in Finnland, Brüssel und Bagdad", sagt Kunz, der seine Methode auf erwachsene Schüler zugeschnitten hat. Diese beginnen mit drei Tönen in der ersten Lektion - auch ohne Notenkenntnis. In der zweiten Lektion kommen zwei Noten dazu. Gelernt wird zu Hause mithilfe eines MP3-Players. Über Video und Skype kann die Haltung überprüft werden.
Die Hirnforschung belegt, dass das menschliche Gehirn bis zum Lebensende lernen kann. Dass Musizieren sogar gegen geistigen Abbau schützt, weisen Neuropsychologen der Universität Zürich nach. Sie bringen 70-jährigen Klavierspielen bei, die noch nie etwas mit Musik zu tun hatten. Beim Musizieren sind viele verschiedene Hirnareale aktiv, die motorische, akustische und Gedächtnisleistungen miteinander verbinden. Weitere Studien belegen, dass musizierende Probanden besser gegen Altersdemenz geschützt sind als durch Lesen oder Kreuzworträtsel lösen.
Außerdem haben Forscher herausgefunden, dass sich bei Erwachsenen, die das erste Mal in ihrem Leben in die Klaviertastatur greifen, bereits nach zehn Minuten Übung die elektrischen Verbindungen im Gehirn verändern. So entsteht ein auf der Kopfhaut messbarer Zusammenschluss zwischen Bewegungs- und Hörarealen der Hirnoberfläche. Diese Verknüpfungen sind jedoch zunächst nicht von Dauer und festigen sich erst nach etwa fünf Wochen. "Musizieren auf hohem Niveau gehört zu den schwierigsten menschlichen Leistungen", sagt Professor Eckart Altenmüller, Direktor des Instituts für Musikphysiologie und Musiker-Medizin an der Musikhochschule Hannover. Gehörsinn, Motorik, Körperwahrnehmung und Hirnzentren, die Emotionen verarbeiten, werden gleichzeitig beansprucht, sagt der Neurologe und ausgebildete Flötist.
Das bedeutet, Musizieren hat sowohl eine physische als auch eine psychische Wirkung und erfüllt zusätzlich eine wichtige Ventilfunktion. Es steigert die Motivation und regt die Selbstbelohnungskräfte an, sagt Professor Wolfhagen Sobirey. Voraussetzung ist, dass sich der erwachsene Anfänger nicht überfordert und die Freude am eigenen Spiel behält. Erwachsene haben es körperlich leichter als Kinder, das Klavierspiel zu erlernen, sagt Kahnert, psychisch dagegen schwerer, weil sie höhere Ansprüche an sich stellen oder Zweifel haben.
Gibt es Einschränkungen in der Beweglichkeit oder Konzentrations-fähigkeit, können Entspannungs- und Lockerungsübungen, Atem-gymnastik oder körperliche Bewegung helfen. Bei einer Befragung gaben die Mitglieder von Seniorenorchestern folgende mentale Kompensationsstrategien an: Akzeptieren der Einschränkungen, sich nicht entmutigen lassen, Gelassenheit, Humor und Geduld.
"Ältere Menschen genieren sich schneller und sind empfindlicher als jüngere", hat Sobirey festgestellt. Wenn zu hohe Erwartungen an die eigenen Fortschritte hinderlich seien, können gute Musikpädagogen und die musizierende Gruppe helfen. Sobirey: "Wie im Chor ziehen die anderen einen mit." In jedem Fall hat das Musizieren positive Wirkungen. Es dient dem seelischen Ausgleich, der Selbstverwirklichung und steigert die Lebensqualität - auch im dritten Lebensabschnitt.
Quelle: Hamburger Abendblatt, 19.06.2010
Der Test
Welche der folgenden 10 Punkte kannst du mit „ja“ beantworten?
1. Ich kann mit den Fingern auf dem Tisch trommeln.
2. Ich kann mich an ein paar Kinderlieder erinnern.
3. Wenn ich meine Einkaufsliste vergesse, kann ich mich an mindestens 3 Sachen erinnern.
4. Ich kann einfache rhythmische Folgen nachklopfen.
5. Ich wippe beim Musikhören schon mal mit dem Fuß mit.
6. Ich kann tanzen.
7. Ich kann mir Namen ganz gut merken.
8. Ich kann lesen.
9. Ich kann mir nützliche Vokabeln in einer Fremdsprache merken.
10. Wenn ich etwas will, dann kann mich nichts und niemand aufhalten.
Wenn du 5 Punkte mit „ja“ beantworten kannst, bist du definitiv nicht zu alt zum Klavier spielen lernen!
Drei Gründe, warum erwachsene Klavieranfänger langsamer vorankommen - und wie man das ändern kann
Es gibt so viele Menschen, die in ihrer Kindheit nicht die Möglichkeit hatten, Klavier spielen zu lernen und es als Erwachsene bedauern. Viele tragen den Wunsch, es doch noch zu lernen jahrelang mit sich herum, ohne wirklich aktiv zu werden. Nur wenige nehmen tatsächlich irgendwann Klavierunterricht und müssen dann leider feststellen, dass ihre anfänglichen Zweifel scheinbar bestätigt werden. Hier sind drei mögliche Gründe dafür und warum trotzdem nicht alles verloren ist:
1. Zu „voller“Kopf
Wenn man als Erwachsener mit dem Klavierspielen anfängt, kann es am Anfang etwas länger dauern als bei einem 8-jährigen Kind – das liegt aber nicht am Alter an sich, sondern an der Art des Übens und der allgemeinen Konzentrationsfähigkeit. Diese Punkte werden jedoch nicht allein vom Alter unseres Gehirns beeinflusst, sondern zum größeren Teil davon, wie „voll“ unser Kopf ist. Spielt man als Erwachsener Klavier, dann sind da womöglich eine Menge Gedanken, die gehört werden wollen.
Anders ist es bei Kindern. Kinder haben im besten Fall kaum Sorgen und Verpflichtungen. Wenn sie etwas tun, dann „total“, d.h. mit 100% Aufmerksamkeit. Wenn sie eine Sandburg bauen – dann bauen sie eine Sandburg – sie nehmen die Umwelt in jenem Moment kaum noch wahr. Gerade das ist das Geheimnis: Fokus, Präsenz und Konzentration ermöglichen es Kindern sehr schnell zu lernen. Zu oft unterschätzen Erwachsene die Lernfähigkeit des Gehirns und schieben aufkommende Schwierigkeiten allein auf ihr Alter. Das Gehirn bleibt bis ins hohe Alter lernfähig. Wir können den Lernvorgang beschleunigen, indem wir es den Kindern gleich tun und uns auf den Prozess des Lernens konzentrieren und dafür sorgen, dass das Gehirn beim Üben auch tatsächlich aufnahmefähig ist. Für das Klavierspielen heißt das, dass wir, statt „irgendwie“ zu üben, nur um vermeintlich schnell ans Ziel zu kommen, so achtsam und bewusst üben sollten wie Kinder.
Wenn das Spielen anstrengend ist, sollte man nicht die Zähne zusammenbeißen, sondern das Problem lokalisieren, in sich hineinspüren und die Stelle mehrmals ohne Hast wiederholen. Auf diese Weise prägt man gute und nachhaltige neuromuskuläre Muster.
2. Innere Zweifel, bestimmte Glaubenssätze
Es lässt sich nicht bestreiten, dass einige Erwachsene trotz langer Übesitzungen tatsächlich nur sehr langsam voran kommen. Den „vollen“ Kopf eines Erwachsenen haben wir schon angesprochen. Etwas, Kinder ebenfalls kaum kennen, aber im Laufe unseres Lebens immer weiter zunimmt, sind unsere verinnerlichten Glaubenssätze, die inneren Stimme, die uns sagt, was möglich ist und was nicht. Wozu wir fähig sind und wozu nicht. Es können auch die Stimmen unserer Eltern sein oder ganz allgemeine, mittlerweile verfestigte Vorstellungen unserer Gesellschaft sein. Zum Beispiel:
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Mit xx Jahren ist man schon zu alt zum Klavier spielen lernen.
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Wenn man erst als Erwachsener oder Jugendlicher mit dem Klavier spielen anfängt, kann man nie so gut spielen, wie jemand, der als Kind angefangen hat.
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Wenn man spät mit dem Klavier spielen anfängt, dauert es Jahre, bis man ein Stück wie „Für Elise“ spielen kann.
Man übt also mehrere Stunden, ist aber innerlich gar nicht überzeugt davon, dass es etwas bringt. Die Aufmerksamkeit ist gespalten. Einerseits spielt man, andererseits setzt man sich mit seinen inneren Zweifeln auseinander. Und das ist ein sehr relevanter und keinesfalls zu vernachlässigender Faktor, wenn es darum geht zu beurteilen, warum Kinder schneller lernen als Erwachsene. Man sollte sich also als erwachsener Anfänger schon früh klar machen:
Diese Glaubenssätze sind nicht viel mehr als das: Glaubenssätze.
Negative Glaubenssätze können einen Großteil unserer potentiellen Fortschritte zunichte machen. Es ist durchaus möglich auch als musikalischer Spätzünder noch verdammt gut Klavier spielen zu lernen! Mit allem was dazu gehört: Ausdruck, Musikalität, Geläufigkeit.
3. Konzentriertes und aufmerksames Üben
Die wohl beliebteste Methode zu üben, ist, eine Stelle so oft zu wiederholen bis sie klappt.
Beim klassischen Klavierunterricht zählt oft nur das Ergebnis. Wie man es erreicht – mit welchen Mitteln – wird dabei dem Schüler überlassen.
Fragt man Klavierschüler, wie sie üben, antworten 9 von 10:
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Das Stück von Anfang bis Ende durchspielen.
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Klappt eine Stelle nicht, spielt man sie so lange immer wieder, bis sie klappt.
Fragt man Klavierstudenten, wie sie üben, antworten 7 von 10 dasselbe. Andere ergänzen:
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Schwere Stellen ein paar Mal langsam spielen, mit getrennten Händen oder rhythmisch variiert.
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Anschließend die Stelle im Tempo mehrmals wiederholen.
Klavierschüler beziehen den Spruch „Übung macht den Meister“ also hauptsächlich auf die Übezeit. Die Quantität ist für sie das entscheidende Kriterium. Der offensichtliche Nachteil dieser Übeweise ist, dass es quälend langweilig ist, sodass man es meist einfach so schnell wie möglich hinter sich bringen will. Die Folge ist unkonzentriertes und automatisiertes üben, wodurch sich wiederum die Zeit, die man insgesamt braucht, um ein Stück zu lernen, verlängert. Sehr effizient ist diese Übemethode also nicht.
Natürlich ist die insgesamt am Klavier verbrachte Zeit ein ebenso wichtiger Faktor wie die Spielweise und die Übemethoden. Doch der Teufel steckt wie immer im Detail. Wie in so vielen Dingen kommt es gerade beim Üben auf die Qualität an. Darauf wie man übt. Wenn man nämlich „falsch“ übt, dann kann es sich umgekehrt proportional verhalten: Man spielt immer schlechter. Soll heißen: das Spielen wird immer anstrengender. Lehrer wie Schüler schieben das dann gerne auf die schwerer werdenden Stücke.
Weniger Üben – besser spielen - 3 Punkte
Es gibt drei Forschungsbereiche, die für das Klavierspielen relevant sind: Gehirnforschung, Lernforschung, Biomechanik. In Bezug auf das Thema „Lernen“ hat die Hirnforschung interessante Dinge herausgefunden. Drei Punkte möchte ich besonders hervorheben. Man lerne umso schneller und nachhaltiger, je aufmerksamer man übt, je mehr Spaß man dabei hat und je kreativer man ist. Diese drei Punkte bedingen sich gegenseitig: übt man kreativ, macht es Spaß und hat man Spaß ist man voll bei der Sache – also hat jede Bewegung und jede Note unsere ungeteilte Aufmerksamkeit.
Und die Aufmerksamkeit ist der Schlüssel!
Aus diesem Grund ist auch ständiges Wiederholen so ineffizient:
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Wenn man als einziges Ziel hat: das Stück durchzuspielen – dann spielt man spätestens ab der 2. Wiederholung automatisiert, also unaufmerksam.
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Wenn man Stellen, die man eigentlich schon kann, immer wieder durchspielt, schweifen die Gedanken ab und man merkt vielleicht erst nach 2 Minuten, dass man ja eigentlich Klavier spielt.
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Wenn man gewohnt ist Stücke zu lernen, indem man sie immer wieder von Anfang bis Ende durchspielt, neigt man dazu die Stellen, die man nicht so gut kann, zu „überspielen“ und zu „hoffen“, dass sie nach der x-ten Wiederholung plötzlich von selbst klappen.
Mit dieser Übemethode erreicht man eine Verbesserung um bis zu 700 Prozent!
Und das Schöne ist, dass es nichts mit Talent zu tun hat und man dafür gerade nicht 6 Stunden am Tag üben muss, sondern weniger. Man ersetzt einfach das mechanische, kopflose Wiederholen durch bewusstes, präsentes und aufmerksames Üben.
Zusammengefasst:
Viel wichtiger als Alter, Talent und körperliche Anlagen sind diese 3 Punkte:
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Wie gehe ich an die Sache heran – mit welcher mentalen Einstellung?
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Glaube ich an mich?
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Wie übe ich? Gehetzt und flüchtig oder konzentriert und aufmerksam?
Das ist das Fundament, mit dem dein Erfolg als Klavierspieler steht und fällt.
Nicht das Alter!
Quelle: Pianotube.de
Sechs Vorteile, die erwachsene Klavieranfänger gegenüber Kindern haben
Viele Menschen bedauern als Erwachsene, dass sie mit dem Klavierspielen aufgehört haben oder nie die Möglichkeit hatten es zu lernen. Das ist aber gar nicht so tragisch, denn es gibt durchaus einige Vorteile, erst als Erwachsener mit dem Klavierspiel anzufangen. Ich habe die 6 wichtigsten für dich herausgesucht:
1. Man trifft die Entscheidung bewusst
Wenn man als Erwachsener mit dem Klavier spielen anfängt, dann trifft man diese Entscheidung bewusst. Man weiß, worauf man sich einlässt. Aufgrund der eigenen Lebenserfahrung ist man sich darüber im Klaren, „wie“ man die Sache anpacken muss: Übezeiten festlegen, über einen bestimmten Zeitraum kontinuierlich dran bleiben und nicht unbedingt viel, aber dafür regelmäßig üben. Aufgrund der intrinsischen Motivation (man will die Sache von sich aus, und nicht, weil jemand anderes es von einem erwartet) bringt man viel mehr potentielle Ausdauer und Willenskraft mit – die besten Voraussetzungen, um Klavier spielen zu lernen!
2. Man kann sich seine Lehrerin oder seinen Lehrer selbst aussuchen
Ein weiterer großer Vorteil, als Erwachsener mit dem Klavierspiel anzufangen ist, dass man sich seine Lehrerin oder seinen Lehrer selbst aussuchen kann. Lernen funktioniert am besten, wenn man dem Lehrer vertraut, sich ernst genommen fühlt und ein Mitbestimmungrecht hat. Viele Kinder oder Jugendliche haben meist keine Wahl – die Eltern suchen einen Lehrer aus der nächsten Umgebung und erfahren meist gar nicht, dass der Jugendliche mit dem Lehrer oder der Lehrerin absolut nicht auf einer Wellenlänge ist. Da vergeht vielen Jugendlichen nicht nur die Lust am Klavierspielen, es ist für sie auch eine nicht zu unterschätzende psychische Belastung.
3. Man kann sich die Musikstücke selbst aussuchen
Man wird kaum ein guter Klavierspieler, wenn man immer nur Stücke spielen muss, auf die man gar keine Lust hat. Gerade wenn man älter ist, will man sich durch die Musik ausdrücken. Das geht schlecht, wenn man keine Verbindung zu den Stücken hat, die man spielen „muss“. Kinder werden oft nicht gefragt. Man vertraut als Elternteil den Lehrern und ihrem pädagogischen Sachverstand. Interessante Stücke, die der Schüler „mag“ müssen nicht an erster Stelle auf dem Lehrplan stehen, so glaubt man. Als Erwachsener kann man sich von Anfang an mit dam Lehrer darüber verständigen, welche Stücke man lernen will.
4. Man entscheidet selbst über das Üben
Viele Kinder und Jugendliche treffen nicht selbst die Entscheidung, ein Instrument zu erlernen, sondern werden von ihren Eltern dazu überredet. Die Eltern sind es auch, die den Lehrer aussuchen und schließlich sind sie es auch, die die meiste Zeit darüber entscheiden, wann und wie lange man üben sollte. So gut die Absicht dahinter auch sein mag – vielen Jugendlichen wird so die Möglichkeit genommen, eine eigene Verbindung zu ihrem Klavierspiel aufzubauen. Keine guten Voraussetzungen, um Lernfortschritte zu machen, geschweige denn, um langfristig motiviert zu bleiben. Als Erwachsener kann man nicht nur selbst bestimmen wann und wie lange man übt – man tut es sogar freiwillig!
5. Man kann sich selbst motivieren
Wenn Kinder keine Lust zu üben haben, dann üben sie nicht. Wenn man als Erwachsener mal keine Lust hat zu üben, kann man sich selbst motivieren und den Fokus zurückgewinnen, indem man sich seine eigenen Erfahrungen zum Thema Lernen ins Gedächtnis ruft, z.B.:
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Aus Erfahrung weiß ich, dass mein Dranbleiben belohnt wird – schließlich ist aller Anfang schwer.
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Das Klavier spielen ist eine Fertigkeit wie jede andere auch – Übung macht auch hier den Meister.
6. Man begreift abstrakte Konzepte schneller
Kinder erkennen z.B. sich wiederholende Elemente in verschiedenen Stücken nicht sofort und müssen sie so immer wieder „von vorne“ lernen. Als Erwachsene erkennen wir Muster viel schneller und lernen deshalb schneller. Das liegt zum einen an dem im Alter entwickelten rationalen Verständnis und zum anderen daran, dass wir im Laufe unseres Lebens schon ziemlich viele Musikstücke gehört haben und so harmonische und melodische Muster schneller mit unseren Hörgewohnheiten verknüpfen können. Ein Kind interessiert sich auch eher wenig dafür, in welcher Beziehung diese oder jene Töne zueinander stehen. Als Erwachsener kann man, indem man seine musiktheoretischen Kenntnisse schult, Musikstücke schneller erlernen. So reicht der Hinweis „jetzt kommt ein Ausschnitt einer D-Dur-Tonleiter“ aus, um ohne nachzudenken eine Tonfolge zu spielen – und sich auch später daran zu erinnern. Statt sich Note für Note einzeln einzuprägen, merkt man sich nur „D-Dur-Tonleiter“. Kindern fällt die Umsetzung solcher Erkenntnisse sehr viel schwerer.
Quelle: Pianotube.de
Auf YouTube gibt es einige motivierende Filme über das Klavierlernen im Alter, die Mut machen:
Klavier spielen lernen im Alter -
Eine neue Lebenserfahrung
Klavier lernen im Ruhestand
10 Tips für erwachsene (Klavier-) Schüler
Zeit und Raum für deinen Traum !